Es ist doch alles ganz einfach. Du musst nur die Bibel lesen, da steht es doch!“ Ist das so? Ich erlebe bei der Frage um das Thema Homosexualität eine Reise und bin auf der Suche. Warum? Weil es nicht so einfach ist. Aber lies selbst.

Das ist die Standardmeinung unter traditionellen Christen:

„Die Bibeltexte sind eindeutig. Homosexuelle Handlungen sind Sünde und Gott ein Gräuel. Gott liebt die Sünder, aber er hasst die Sünde. Gott kann von Homosexualität heilen. Falls dies nicht geschieht, muss der Betroffene eben ohne Sex leben. Partnerschaften homosexueller Paare sind gegen Gottes Schöpfungsordnung.

Die ganze Regenbogen-Bewegung ist gottlos und gefährlich. Die LGBTQ+Bewegung ist eine Gefahr für unsere Kinder. Wir müssen wieder zurück zu den alten Werten der Schöpfungsordnung.“

Das sagen manche ...
So habe ich zuerst gedacht

Irgendwann kam jener Brief. Mein füherer Zimmerkollege im Internat und Trauzeuge und Freund outet sich. Er ist schwul. Übrigens „schwul“ ist kein Schimpfwort oder Abwertung. Homosexuelle wollen lieber so angesprochen werden.

Meine Antwort als damaliger Theologiestudent war, dass ich ihn natürlich als Menschen schätze, aber homosexuelles Leben eben Sünde ist. Er müsse eben ohne Sex leben – zölibatär also. So einfach war das. Jahre später war ich auf seiner Hochzeit und meine Gemeinde, für die ich als Pastor zuständig war, wollte mir die Teilnahme verbieten. Bin natürlich trotzdem hingefahren. Inzwischen ist er länger verheiratet, als so manches Hetero-Paar.

Und dann kommt eines Abends mein eigener damals 19jähriger Sohn heim. „Vater ich muss Dir was sagen …“. Seltsam, es war ein goldener Moment, denn er vertraute mir, bekam sein Leben in den Griff. Auch er ist inzwischen verheiratet und Vater. Ihm hab ich geraten, keine wechselnden Beziehungen, schütze Dich und mache nichts gegen Deinen Willen.

Im Gespräch mit homoerotisch empfindenden Menschen höre ich immer wieder von ihrem Kampf und bei Christen ihre Angst verloren zu gehen. Ich habe noch keinen kennengelernt, der sich seine Prägung ausgesucht hat, sondern er hat einfach festgestellt, er ist so. Ich gender hier nicht, weil ich intensiver nur mit Männern gesprochen habe.

Und dann wird da jener Widerspruch immer drastischer. Wenn Schwulsein gegen Gottes Willen ist, dann müsste es ihnen doch allen immer schlechter gehen. Gott will doch das Gute. Aber es geht meinem Freund und meinem Sohn nicht schlechter. Im Gegenteil, als sie ihre Identität angenommen haben, kamen die Dinge in Ordnung. Wie kann dann Homosexualität Sünde sein?

Offene Fragen

Gottes Gesetz verbietet alles, was zerstörerisch ist. Es schützt die Schwachen. Es ist zu unserem Wohl gegeben. Aber wieso sollten dann monogame liebevolle Beziehungen zwischen Menschen mit einer eindeutig homosexuellen Identität verboten sein?

  • Homosexuelle sind nicht pädophil. Sie schaden also niemandem, wenn ihre Sexualität in gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geschieht.
  • Durch Homosexuelle wird kein Hetero schwul oder lesbisch. Kein Jugendlicher oder Erwachsener, der eindeutig hetero ist, wird plötzlich schwul oder lesbisch. Es ist nicht „ansteckend“.
  • Unter Homosexuellen gibt es ein erstaunlich hohes Bedürfnis, eine treue lebenslange liebevolle Beziehung zu führen.
  • Homosexuelle machen nur 5-10% der Gesellschaft aus. Sie sind eine absolute Minderheit. Sie können daher nicht unsere Werte bezüglich der christlichen Ehe gefährden. Das kommt viel stärker von anderer Seite.

Wenn niemand zu Schaden kommt, warum sollte es dann Gott verbieten? Gute Frage, oder?

Ich will mir keine Bibeltexte zurechtbiegen

Schon recht früh hörte ich von der These, dass es bei den biblischen Texten um heidnische kultische Sexualität ginge. Das klang, als wolle man sich alles schön zurechtbiegen. Das wollte ich keinesfalls!

Als mein Sohn sich outete, lies ich dann einfach die biblischen Texte stehen. Ich konnte den Widerspruch nicht auflösen. Ich entschied mich, mein Sohn ist und bleibt mein Sohn. Ihn liebe ich, egal, was er tut.

Doch dann hörte ich ein Lebenszeugnis eines schwulen Adventisten. Ich war tief betroffen. Da war auch der Vortrag von Prof. Zimmer und die Sicht veränderte sich allmählich. Es ist eben doch nicht so einfach.

Gab es vielleicht doch die Chance Leben und Bibel zusammenzubringen?

Der Bibeltext im Zusammenhang betrachtet

In dem Buch „queergedacht“ (1. Ausgabe 2023) analysiert der Alttestamentler Udo Worschech nochmal ganz genau die Texte aus 3. Mose 18,22 und 20,13 in ihrem Zusammenhang.

Er listet die sexuellen Vergehen auf (S. 181/182) und stellt fest, dass es immer um Vergehen von heterosexuellen Männern geht.

Du sollst keinen Umgang haben mit …

V. 7: deinem Vater und deiner leiblichen Mutter; V. 8: der Frau deines Vaters (deiner Stiefmutter)
> Du = heterosexueller (Ehe-)Mann15; V. 9: deiner Schwester oder Halbschwester
> Du = heterosexueller (Ehe-)Mann;

V. 10: der Tochter deines Sohnes (Enkelin) oder deiner Tochter
> Du = heterosexueller Ehemann16;

V. 11: der Tochter der (Neben-)Frau deines Vaters, die deinem Vater geboren ist, also deine Schwester oder Halbschwester ist
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 12: der Schwester deines Vaters (deine Tante)
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 13: der Schwester deiner Mutter (deine Tante)
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 14: die Frau des Bruders deines Vaters (deine angeheiratete Tante)
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 15: deiner Schwiegertochter
> Du = heterosexueller Ehemann;

V. 16: der Frau deines Bruders (deine Schwägerin)
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 17: einer Frau und mit ihrer Tochter, ihres Sohnes Tochter oder ihrer Tochter Tochter (Enkelin)
> Du = heterosexueller (Ehe-) Mann;

V. 18: der Schwester deiner Frau als Nebenfrau (deine Schwägerin)
> Du = heterosexueller Ehemann;

V. 19: einer Frau, solange sie ihre Tage hat (seine Ehe- oder Nebenfrau)
> Du = heterosexueller Ehemann;

V. 20: der Frau deines Nächsten
> Du = heterosexueller (Ehe-)Mann;

V. 21: Du sollst auch nicht eins deiner Kinder dem Moloch geben
> Du = Vater und daher heterosexueller Ehemann;

V. 22: Du sollst nicht bei einem Mann liegen
> (folgerichtig) Du = (ebenfalls) heterosexueller Ehemann.

So kommt er zu folgendem Schluss:

Aufgrund anderer Aussagen in diesem Kapitel, die sich eindeutig auf verheiratete heterosexuelle Männer beziehen, und dem Umstand, dass von orientalischen Männern in der damaligen Zeit erwartet wurde, dass sie früh heirateten, sind sie sehr wahrscheinlich auch hier die Adressaten. Sie wurden davor gewarnt, nebenbei ein sexuelles Abenteuer mit einem anderen Mann oder einem Tempelhurer zu suchen, und ihnen wurde die Todesstrafe angedroht, wenn sie es getan hatten. (S. 183)

Als Orientalist und Kenner der Kultur kommt er zu dem Ergebnis:

Abschließend sei angemerkt, dass die Texte über sexuellen Verkehr unter Männern in Lev 18,22 und 20,13 die einzigen Stellen im Alten Testament sind, die ihn explizit ansprechen und verbieten. In diesen Texten werden jedoch keine dauerhaften monogamen Beziehungen gleichgeschlechtlich orientierter Männer angesprochen, denn laut den gesellschaftlichen Konventionen jener Zeit waren praktisch alle Männer früh verheiratet. Und es gibt keinerlei Anzeichen im Alten Testament, dass eine gleichgeschlechtliche Orientierung als Wesensmerkmal überhaupt bekannt war. Diese Texte können nicht auf etwas bezogen werden, was damals nicht zur Debatte stand.

Diese Bibelverse sind daher für die heutige Diskussion über die Frage, ob monogame gleichgeschlechtliche Beziehungen ebenfalls biblisch verboten sind, als Diskussionsgrundlage irrelevant. (S. 184)

Diese Ansicht ist natürlich nicht unumstritten. Eckehard Müller widerspricht dem. Wobei sein Artikel von 2018 ist und er möglicherweise hier auch Korrekturen vorgenommen hat, da er seinen Artikel für das Heft „Adventisten heute“ noch überarbeiten wollte und dieser deshalb nicht dort enthalten ist.

Allerdings wenn das stimmt, was Worschech behauptet, dann betreffen die Aussagen im Alten Testament heterosexuelle Männer und keine Personen die „stock schwul“ sind (der Ausdruck stammt von einem Schwulen selbst).

Es geht um unmoralisches, unzüchtiges Verhalten von heterosexuellen Männern. Männer also, die eine Wahl haben.

Könnte das vielleicht ein weiterer Schlüssel sein …

Es geht darum zu unterscheiden, was denn wirklich vorliegt. Spricht die Bibel womöglich von unmoralischem homosexuellem Verhalten, meint aber nicht die homosexuelle Identität und deren verantwortungsvolles Ausleben?

  • Hat derjenige eine Wahl, oder hat er keine? Hat er seine Homosexualität ENTDECKT oder GEWÄHLT? Handelt es sich also bei dem homoerotischen Empfinden um eine sexuelle Identität, die da ist und nicht gewählt wurde? Oder ist es eine Entwicklungsphase? Oder kommt ist der Hintergrund eine Enttäuschung oder gar Missbrauch der erlebt wurde?
  • Handelt es sich um sexuelles Verhalten, das in Wertschätzung und Treue ausgelebt wird – also nach den göttlichen Werten für eine Paarbeziehung?
  • Oder handelt es sich um „gierige Begierde“, die den anderen als Sexualobjekt missbraucht und erniedrigt?
  • Wird eine bestehende Ehe bzw. Treuebeziehung gebrochen?
  • Will jemand homosexuelle Handlungen nur zur Luststeigerung ausprobieren, weil er sonst schon alles hatte?
  • Oder handelt es sich einfach um die Variation einer relativ kleinen Gruppe von Menschen, die nun verantwortlich vor Gott mit ihrer Prägung umgehen müssen?
Wie wäre es mit einer positiven Formulierung

Angenommen wir würden das Verbot in ein Gebot umformulieren und einen allgemeinen Wert ausdrücken, wie könnte das aussehen?

Bei den Zehn Geboten könnte das Verbot „falsch Zeugnis“ zu reden, als Aufforderung ausgedrückt so heißen: „Sei ehrlich und aufrichtig in Deinem Leben“.

Im Bereich der Sexualität könnte es vielleicht so aussehen …

Lebe Deine Sexualität verantwortlich in Liebe und Treue.
Achte Dein Gegenüber in großer Wertschätzung und Respekt.
Folge konsequent Deiner sexuellen Identität und handle nicht gegen Deine Natur.

Ein goldener Moment

Bei all der theologischen Diskussion können wir aber auch ganz schnell vergessen, dass es hier um Menschen geht. Also werden wir doch mal ganz persönlich.

Es war ein ganz besonderer Moment, als …

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